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Podiumsdiskussion zum Standortauswahlgesetz am 21.11. in Karlsruhe

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Podiumsdiskussion zum Standortauswahlgesetz am 21.11. in Karlsruhe

Pressemitteilung

Im Auditorium maximum des KIT vor ca. 200 Teilnehmern fand die Podiumsdiskussion zum Thema „Entsorgung radioaktiver Reststoffe: Standortauswahlgesetz – und wie weiter?“ statt. Veranstalter waren das Projekt ENTRIA in Zusammenarbeit mit dem Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Als Diskussionsteilnehmer auf dem Podium nahmen teil:

  • Sylvia Kotting-Uhl, MdB, atompolitische Sprecherin der Fraktion „Bündnis 90/Die Grünen“
  • Ursula Schönberger, Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD e.V.
  • PD Dr. Ulrich Smeddinck, Lehrstuhl Staats- und Verwaltungsrecht sowie Verwaltungswissenschaften, TU Braunschweig
  • Dr. Peter Hocke, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am KIT
  • Prof. Dr.-Ing. Karl-Heinz Lux, Lehrstuhl für Deponietechnik und Geomechanik, TU Clausthal

Prof. Dr. Clemens Walther von der Leibniz Universität Hannover moderierte die Diskussion.

Bereits in den einleitenden Statements zur persönlichen Einschätzung des Standortauswahlgesetzes zeigen sich erhebliche Unterschiede in der Bewertung. Sie reichen von „revolutionär“ bis „kleinster gemeinsamer Nenner“.

Frau Kotting-Uhl betont, das  Standortauswahlgesetz sei das Beste unter schlechten Umständen erreichbare.
Frau Schönberger spricht hingegen von einem „Schnellschuss“, insbesondere, da mit den Bürgerinnen und Bürgern nicht im Vorfeld gesprochen worden  und das Gesetz das Ergebnis von parteipolitischen Kompromissen sei. Besondere Sorge bereit ihr die Machtfülle beim neu zu schaffenden Bundesamt für kerntechnische Entsorgung.
Ebenfalls skeptisch gegenüber der Verabschiedung des neuen Gesetzes ohne vorherige öffentliche Debatte äußert sich Prof. Lux, verweist aber darauf, dass ein historisch günstiges Zeitfenster genutzt wurde. Unter den heutigen politischen Randbedingungen wäre evtl. gar kein derartiges Gesetz mehr zustande gekommen. Allerdings vermisst er in dem neuen Gesetz den Aspekt der Beteiligungsbereitschaft, der beim AkEnd noch eine große Rolle gespielt hat. Diese mit Projekten zur Regionalentwickung zu koppeln wäre seiner Meinung nach eine Chance gewesen, für größere Akzeptanz in der Bevölkerung zu werben.
Aus rechtlicher Sicht stellt das Gesetz für Dr. Smeddinck einen deutlichen Schritt nach vorn dar. Die Bewegung der Politik bewertet er eher positiv und betont, dass das Gesetz durchaus das Potential hat, die Realisierung des bisher nicht durchführbaren Projekts „nukleare Entsorgung“ zu ermöglichen.
Dr. Hocke ist eine differenzierte Betrachtung des Gesetzes hinsichtlich „modernes Regierens“ wichtig. Einerseits wird der Stagnation bei der Standortsuche begegnet, andererseits bleibt seiner Meinung nach das Gesetz eine „Vision“ schuldig und es bleiben viele Fragen offen.

Nach den ersten Einschätzungen der Experten bringt sich auch das Publikum in eine lebhafte und teils kontrovers geführte Diskussion ein.
Ein Mitglied des BUND Karlsruhe beklagt eine vollständige Perspektivlosigkeit. Nicht nur sei es aus  seiner Sicht unmöglich, überhaupt ein Endlager zu finden, sondern die bestehenden Zwischenlager entsprächen auch nicht den Sicherheitsanforderungen. Die weiterlaufende Forschung an Transmutation und Partitioning manifestiere seiner Meinung nach die Fortführung der Atomenergie trotz Ausstiegsbeschluss.

Die Frage nach einer angemessenen Bürgerbeteiligung – auch in Zusammenhang mit anderen Großprojekten – nimmt in der Diskussion breiten Raum ein. Zentral ist das Thema, ob das geplante Verfahren  eine  wirkliche Bürgerbeteiligung im Sinne des Aufgreifens von Lösungsvorschlägen ermöglicht, oder ob eher von einer Alibifunktion gesprochen werden müsse.

Teilnehmer aus dem Publikum berichten über negative Erfahrung mit verschiedenen Beteiligungsprojekten und Mediationsverfahren. Es bleibe oftmals das Gefühl, der Bürger werde zwar gehört, aber insgeheim  belächelt und bei der Entscheidung außen vor gelassen.

In die gleiche Richtung argumentiert der Leiter des Arbeitskreises „AKW Philippsburg“: „Der Bürger wird nicht als vollwertiger Bürger angenommen“. Auch könne den Aussagen von Wissenschaftlern nicht immer vorbehaltlos vertraut werden. Das Misstrauen gegenüber Wissenschaftlern und Politikern sei groß. „Bei Bürgerbeteiligungen sind wir ein Entwicklungsland“ stimmt Dr. Hocke zu. Frau Schönberger kritisiert in diesem Zusammenhang den sehr kurzen Zeitraum, der den Umweltverbänden zur Auseinandersetzung mit dem Standortauswahlgesetz zur Verfügung gestanden habe. Kotting-Uhl betont hingegen, dass das (u.a. von Bürgerinitiativen und Verbänden heftig kritisierte) Bürgerforum im Juni 2013 in Berlin etliche wesentliche Änderungen des Standortauswahlgesetzes bewirkt habe. Hierzu zählen das Exportverbot für radioaktive Abfälle, erweiterte Klagemöglichkeiten, die Einstellung der Vorläufigen Sicherheitsanalyse Gorleben (VSG), der Ausschluss der Zwischenlagerung weiterer Wiederaufarbeitungsabfälle in Gorleben und die Zusammensetzung der geplanten Bund-Länder Kommission „Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe“.

Im Hinblick auf noch bestehende Defizite des Standortauswahlgesetzes verweist  Kotting-Uhl auf den Kompromisscharakter, aber auch auf Chancen für künftige Verbesserungen: „Wir sind ein lernendes System.“

Frau Schönberger beklagt eine mangelnde Aufarbeitung des Endlagerkonflikts in Gorleben und fordert ein Herausnehmen des Standorts aus dem weiteren Verfahren. Einem Beitrag aus dem  Publikum entsprechend könne Akzeptanz für einen Standort für hochradioaktive Abfälle nur geschaffen werden, wenn  der Lobbyismus an sich sowie die Macht der EU in Sachen Atompolitik auf nationaler Ebene  abgeschafft und sämtliche Atomkraftwerke umgehend still gelegt werden.

Starkes Interesse herrschte hinsichtlich der Kommission: Inwieweit beeinflussen bestehende Interessen- und Machtverhältnisse die Besetzung der Kommission und nehmen so eventuell Arbeitsergebnisse vorweg? Frau Kotting-Uhl legt den bewusst begrenzten Einfluss der Politik dar. Lediglich die Besetzung der Plätze für die Politiker (ohne Stimmrecht, Anm. d.R.) und die acht Wissenschaftler würden von der Politik entschieden. Die  übrigen Vertreter würden von den jeweiligen  Interessen- und Anspruchsgruppen benannt. Auch im Hinblick auf die Sensibilität des Themas und des zu erwartenden immensen Medieninteresses wurden keine Namen  bereits feststehender Vertreter genannt.

Kurze Schlussworte aller Podiumsteilnehmer beenden die Veranstaltung nach ca. 100 Minuten. Die fruchtbare Diskussion liefert vielfältige interessante Ansätze und Denkanstöße, zeigt jedoch deutlich die Notwendigkeit  weiterer  Diskussion sowie fortwährender unabhängiger  interdisziplinärer Begleitung  des Prozesses. Die Forschungsplattform ENTRIA wird hierzu auch in den kommenden Jahren mit wissenschaftlicher Forschung ihren Beitrag leisten.